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Drei fliegende Teppiche aus Worten: Gerda Sengstbratls poetische Reisebücher
Rezension Gudrun Seidenauer

Reisen, jenseits von im Vorhinein abgesteckten Radien und Erwartungen, Reisen mit Augen, Ohren, Nase, Mund, sich den Gerüchen und Geschmäckern aussetzen, den Farben, den Formen, den Elementen, - ganz irdisch und wirklich, nicht ausgedacht – im Bewusstsein einer realen Magie, die im Alltäglichen und Unspektakulären darauf wartet, erkannt und damit lebendig zu werden: Das kann Gerda Sengstbratl. Und vor allem: Sie findet eine Sprache dafür, die so schön und gleichzeitig unaufdringlich und zurückgenommen ist, manchmal auch mit lustigen Pointen, dass es schwerfällt, nicht absatzweise aus ihren drei wunderbaren, bei Story.one herausgegebenen Reisebüchern zu zitieren.

Hier eine Kostprobe:
„Nacht bricht über die Berge herein, über Urwälder. Und stilldunkel öffnen sich breite Wiesen. Über Schimmersteinen ruht am Himmel dünn der Mond. Finger frieren beinahe ab, der Tisch lacht in der Dunkelheit. Und aus der Ferne schreit eine Stimme: „On-AAA-nie!“
Sie zu lesen ist ein poetisches Abenteuer, das nicht nur im Kopf stattfindet: Unter den Titeln, die die jeweils die bereisten Länder mit dem Zusatz „Anläufe Anreisen“ nennen (Nepal, Mongolei, Marokko, Jemen, Indien und Sri Lanka), finden sich verdichtete Erfahrungen und Beobachtungen in oft kurzen, auf das sinnlich Wahrgenommene zielenden Sätzen. Sie sprechen und zeigen ohne Aneignung des Fremden, ohne darübergestülpte Erklärungen und ohne Projektionen auf „exotische“ Schauplätze. Das Außerordentliche und der Alltag sind untrennbar miteinander verwoben, wohin Gerda Sengstbratls reisendes Ich sich bewegt, und das Bewusstsein, mit dem es – sie – hier wahrnimmt und ausspricht, ist leise, offen, schaut, notiert, streicht, lässt den Sätzen, den Menschen und den Dingen, manchmal auch den Tieren („ein Kamel weint“) Raum. Nichts ist zu viel, trotz Verzauberung durch die Schönheit und die ganz irdische Spiritualität, der sie auf den Reisen begegnet und die sie vielleicht auch sucht. Alles ist im Hier und Jetzt und verweist dennoch auf Historisches: Da sind es in den Texten zur Mongolei zum Beispiel die armseligen Hinterlassenschaften der Sowjets, Plattenbauten, Kunststoff und Industrieruinen. „Auf Wiesen weiden Edelweißsterne, Rhabarber, Plastik.“

Da ist die unfassbare Weite der Wüste Gobi, die etwas macht mit denen, die sich auf sie einlassen, sie nicht einordnen, abweisen, klein erklären. Ist es etwas Gutes? Vielleicht. Etwas Anderes ist es gewiss. Da sind noch Welten in unserer Welt, denen das meiste fehlt, was uns unabdingbar scheint, Konsum, Werbung, Internet, all der Lärm unserer Zivilisation. Daraus wird aber in diesen Texten kein utopisches Konstrukt, kein sentimentales Hinsehnen. Die Autorin bleibt beim Hinsehen: Man folgt gespannt den langen Fahrten durch die Leere, man lugt ins Innere mehr oder weniger bequemer Behausungen, nimmt Teil an der körperlichen Erfahrung großer Höhe in Nepal, der Kälte und der jähen Hitze aus den kleinen Öfen ebenso wie an der berückenden Gegenwart der Göttin Tara, die nicht irgendwo weit weg in einem fernen Himmel, sondern unmittelbar greifbar das Bewusstsein flutet und die westliche Vorstellung eines abgeschlossenen Ich mit einem Augenzwinkern außer Kraft setzt.

Dabei verweilen wir nie lange in einer Situation, wir bleiben lesend mit der Reisenden in Bewegung. Wir sehen, hören, riechen, fühlen und schmecken mit einem weiblichen reisenden „Ich“, das nicht viel von sich selbst spricht, weder Dauer, Gefährten und Absicht der Reisen sind wichtig, ohne dass sich hier jemand versteckt. Da gibt es Ekel, Wünsche, Fotos aus der Kindheit, die mit auf Reisen gehen, und die Erinnerung an einen toten Bruder, der als weißer Schmetterling auf dem Rucksack auftaucht. Da gibt es ein Eintauchen, aber auch ein Draußenbleiben, ein Beobachten, mit Freude, Traurigkeit, Neugierde und Scheu. Die Beobachtungen sind knapp, präzise und verdichtet, die Sätze rhythmisch, die Bilder sicher und elegant. Bei der Leserin, beim Leser wächst vielleicht die Lust, selbst endlich wieder auf Reisen zu gehen, wesentlicher aber ist: Die Art des Sehens, Auswählens und Zeigens weckt die Freude am Wahrnehmen selbst, das in diesen poetischen Reisebüchern feinfühlig und uneitel für sich einnimmt und einem bunten Teppich gleicht, bei dessen klaren Farben und Mustern man gerne und lange verweilen und mit dem man ganz bestimmt sogar fliegen kann.