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Rezension von Wolfgang Kauer, Salzburg

Gerda Sengstbratl: Indien und Sri Lanka. Anläufe Anreisen. Verlag story.one: Wien 2021, Hardcover, Farbbilder, 65 Seiten ISBN 978-3-99087-357-1

Das Buch beginnt - aus dramaturgischem Kalkül - mit dem zweiten oder dritten Kapitel, das erste wird nachgereicht. Der mit wenigen, aber sehr ansprechenden Fotos ausgestattete Sammelband ausgewählter Episoden startet in einem Schreibstil, der sich nach Wittgensteinscher Sprachlogik richtet: kurze überlegte Sätze, dazwischen Wortreihen und fehlende Verben, inhaltlich kein Wort zu viel und der ganze Satz in sich sprachlogisch richtig:
„… Körper und Welt waren heiß. Die Welt hatte 48 Grad. Salzig und feucht flossen sie ineinander. / Ich trug ein rotes indisches Tuch mit traditionellen Mustern, die etwas signalisieren. Allerdings wusste ich nicht, was. …“ (S. 9) Und anderswo: „… Rattentempel, ekelig trotz der Plastikhüllen über den Füßen. Nicht-Sesshafte neben Bahngleisen in Zelten aus Fetzen mit kleinen Kindern und über Töpfe gebückte Frauen. Bärte. Eine schrille Lobby in Pink, beleuchtete Wände aus türkisem Glas. Vorhänge aus Perlen. …“ (S. 14)

Die Ich-Erzählerin geht sogar so weit, dass sie sich selbst teilweise in Außensicht beschreibt:
„… Als ich diese Körpermilch roch, war ich ein Samtknäuel, ein Wattebausch. Plötzlich trug ich langes schwarzes Haar...“ (S. 18) Und anderswo: „… Schon lag eine Blumenkette um meinen Hals. Schon waren meine Füße nackt, wurden gewaschen und gesalbt …“ (S. 30)

Auf diese Weise entstehen poetische Splitter, die ein Gesamtbild an Farben und Düften ermöglichen. Es entstehen bunte, changierende Eindrücke vom indischen Subkontinent, wie sie nicht nur ein Luxusreisender nachvollziehen kann. Die Lokalitäten, die sie beschreibt, liegen mitunter abseits des Gruppentourismus: ein Zimmer, in dem Regen nachgestellt wird, eine Palmblattbibliothek, ein Askese-Zentrum.
Das Stilmittel der Verknappung beschränkt sich nicht auf den Satzbau, auch inhaltlich wird schlank erzählt. So reduziert die Autorin das umfangreiche hinduistische Pantheon und die Alabaster-Magie von Zoroastrismus und Jainismus, Eindrücke, die bei Indien-Reisenden an den von ihr beschriebenen Orten für gewöhnlich überwiegen, auf die Begegnung mit einer einzelnen goldfarbenen Statue der streitbaren Göttin Meenakshi. An dieser Stelle lassen sich Sympathieausbruch und feministische Haltung der Autorin nicht mehr hintanhalten: „… Meenakshi. Amazone. Kriegerin. Kämpferin. Ich mag sie. …“ (S. 26) Die Ehrlichkeit der Autorin gegenüber ihren Gefühlen besticht.
Vertreter des männlichen Geschlechts charakterisiert sie, indem sie Sympathie und Antipathie einander gegenüberstellt: Auf die negativ gezeichnete Figur eines Guides aus der Brahmanenkaste folgt ein positiv charakterisierter katholischer Generalvikar aus „Nudeli“.

Längst hat die Autorin den knappen, impressiven Schreibstil beiseitegelegt und gerät ins Fabulieren. Die Satzgestaltung wird deutlich komplexer und sie spart jetzt nicht mehr mit Reflexionen, um opulenter erzählen zu können. Nicht immer enden die Episoden in einer Pointe, dann bleiben Eindrücke im Raum liegen, wie der Rüssel eines Elefanten auf ihrem Haupt.
Die Faszination an Gerda Sengstbratls Buch machen Sprachbilder aus, die sie wie Blüten vor dem Leser verstreut. Man lernt ein anderes als das Indien des Alltaglärms kennen: Ästhetik pur und Stille werden vermittelt. Das „Regenzimmer“, in dem für Kinder der Wüste das ihnen fremde Naturereignis veranstaltet wird, wird nicht nur mir, sondern auch anderen Lesenden nachhaltig in Erinnerung bleiben. Es bleibt zu hoffen, dass noch mehrere Reisebüchlein von Gerda Sengstbratl erscheinen werden, denn die Episoden-Auswahl und ein Erzählen in Häppchen gehören zu ihren Stärken.